Die kleine Elfe Edeltraud
Edeltraud ist eine Elfe.
Elfen sind zarte Wesen.
Federleicht schweben sie von Blüte zu Blüte.
Aber Edeltraud nicht.
Edeltraud ist dick.
Doch Edeltraud kann auch fliegen.
Nicht so federleicht wie andere Elfen,
eher behäbig, wie eine kleine Hummel.
Elfen sind musikalisch.
Unentwegt singen und säuseln sie.
Aber Edeltraud nicht.
Edeltraud ist still.
Doch Edeltraud kann auch singen.
Nicht so honigsüß wie andere Elfen,
eher brummend wie ein kleiner Traktor.
Elfen sind schnell.
Blitzschnell schwirren sie im Mondlicht über die Wiese.
Aber Edeltraud nicht.
Edeltraud ist langsam.
Edeltraud trödelt gern.
Wenn die anderen schon längst weg sind, träumt Edeltraud noch vor sich hin.
Eines Morgens spielten und tanzten die Elfen in einem Garten. Da hörten sie ein Geräusch und – - - sss - - waren alle verschwunden.
Alle?
Nein.
Alle – bis auf Edeltraud.
Sie betrachtete gerade gedankenverloren einen Tautropfen.
Da hockte sich jemand neben sie. Ganz leise, ganz zart.
„Ich bin Ottilie“, flüsterte eine Stimme.“Und wer bist du?“
Edeltraud schaute sich verwundert um und erblickte ein Mädchen.
Alles an ihr war rund: Der Kopf, die kringeligen Locken, die kullerrunden Augen, die kleine Stupsnase, die Pausbacken und der Mund. Sogar die Punkte auf ihrem Kleid waren rund. Logisch. Punkte sind nun mal rund.
„Und wer bist du?“ fragte das Mädchen nun schon zum zweiten Mal. Die kleine Elfe Edeltraud war so verwirrt, dass sie nicht antworten konnte.
Immer hatte man ihr eingeschärft, sich von den Menschen fernzuhalten.
Aber was man tun sollte, wenn man auf einen echten Menschen trifft, wusste Edeltraud nicht.
Deshalb zeigte sie auf den Tautropfen, der in der Sonne glitzerte und funkelte.
Ottilie nickte.
„Hast du schon gesehen, dass im Tropfen die Welt auf dem Kopf steht?“ fragte das runde Mädchen.
Verwundert schüttelte Edeltraud den Kopf.
Da hörte sie ein schreckliches Geräusch:
Ein Knurren und Schnüffeln und Hecheln kam immer näher. Edeltraud sah sich ängstlich um. Da! Etwas Schwarzes zwischen den Gräsern! Hektisch breitete sie ihre Flügelchen aus und flatterte. Nichts wie fort! Aber gerade jetzt wollte es nicht so recht klappen mit dem Fliegen.
Ottilie sah ihre Not und nahm sie behutsam auf die Hand.
„Du musst keine Angst haben, kleine Elfe. Das ist nur Radko, unser Hund. Er ist neugierig und will dich begrüßen!“
Vorsichtig schaute Edeltraud über den Rand von Ottilies Hand nach unten. Da stand das schwarze Ungetüm, wedelte mit dem Schwanz und bellte laut. Erschreckt zuckte Edeltraud zurück.
„Warte, ich habe eine Idee!“ Ottilie trug die kleine Elfe behutsam ins Haus.
In ihrem Zimmer setzte das Mädchen Edeltraud ab:
Mitten auf dem Schreibtisch, zwischen Buntstiften, Büchern und Papier.
Edeltraud staunte.
So etwas hatte sie noch nie gesehen.
„Bitte warte hier auf mich! Ich muss zum Essen. Flieg‘ nicht weg, hörst du?“
Edeltraud nickte gedankenverloren. Hier gab es ja so viel zu sehen. Sie setzte sich auf einen Stapel Bücher und ließ ihren Blick wandern...